Gibt es eine deutsche Filmkultur? Teil 1

Was guckt ihr heute Abend? Eine schwarze Komödie aus Großbritannien, einen unterkühlten Krimi aus den skandinavischen Ländern, eine Liebesgeschichte (vielleicht mit einer „Femme Fatal“) aus Frankreich, ein koreanisches Actionfeuerwerk, leichte Bollywood-Unterhaltung aus Indien oder doch einen Blockbuster aus den U.S.A.? Doch was würdet ihr sagen, wenn ich euch einen typisch deutschen Film anbiete? Wahrscheinlich eher „nein, danke“. In diesem Zweiteiler versuche ich der deutschen Filmkultur auf dem Grund zu gehen und die Frage der Überschrift zu beantworten. Los geht es mit Teil 1: Der Geschichtsstunde.

  • Lang ist´s her

In den 1920er Jahren war noch alles in bester Ordnung. Zugegeben, das ist schon etwas länger her. Damit man jedoch die heutige deutsche Filmkultur versteht, muss man so weit zurückgehen. Damals war der deutsche Film international hoch anerkannt. Jedoch nicht nur bei Künstlern und Kritikern, sondern auch beim normalen Publikum. Auch die erste Generation an Kinozuschauern wollte schon in fremde Welten eintauchen und neue, fantastische Geschichten erleben. Da kam der Expressionismus gerade zur rechten Zeit um die Ecke. OK, „rechte“ Zeiten sorgten auch für dessen Untergang, aber so weit sind wir noch nicht. Filme von Lang oder Murnau waren also nicht nur ein Thema für irgendwelche Professoren, sondern auch für das „durchschnittliche“ Volk. Nach fast über 100 Jahren kennen wir natürlich nur noch die Perlen dieser Dekade und der damals erschienene Schrott ist in Vergessenheit geraten. Aber das kann man auch über die internationalen Filmmärkte sagen. Wenn wir also die Frage aus der Überschrift auf die Vergangenheit beziehen, ist die Antwort ganz leicht: Ja! Deutschland hatte mal eine Filmkultur und sogar auf kommerzieller wie auch künstlerischer Ebene. Wie diese Kultur untergegangen ist, wissen wir natürlich auch alle. Das Arschloch mit dem Schnäuzer und einer Vorliebe für Schäferhunde, hat sich bekanntlich nicht viel aus Kunst gemacht. Die deutschen Filmschaffenden teilten sich zu Beginn des NS-Regimes auf. Viele große Künstler flohen ins Ausland, doch ein paar Leute blieben auch zurück. Zur Liebe der deutschen Filmkultur oder weil sie selbst Nazis waren. Jedoch verschwindet Talent ja nicht einfach so, nur weil man jetzt Propaganda-Filme dreht. Bestes Beispiel: Leni Riefenstahl. Man kann von der Person halten was man will, aber ihre Filme waren besonders auf technischer Ebene bahnbrechend. Es bleibt auch jedem selbst überlassen, ob man Streifen wie „Olympia“ gucken darf, aber eins ist gewiss: Auch diese Filme gehören zur deutschen Kultur und fanden international, zumindest für Ihre Machart, hohe Anerkennung. 1945 war der Krieg vorbei, die halbe Welt liegt in Schutt und Asche und es beginnt das große Aufräumen. Der Aufbau einer neuen Filmkultur steht dabei an ziemlich oberster Stelle, denn immerhin war „Film“ zum Leitmedium geworden und beeinflusste die Bevölkerung sehr stark. In Frankreich blühte der „Film Noir“, in Italien der „Neorealismus“ und das Filmstudio „Cinecittá“ (= da gab es sogar mal einen Reisebericht von mir), in Großbritannien gab es einen Besucherrekord mit 1,6 Milliarden verkaufter Tickets, in Japan revolutionierte Akira Kurosawa das Kino und in den U.S.A. begann der künstlerische Kampf gegen die schwarze Liste. Und in Deutschland?

Leni Riefenstahl bei Dreharbeiten
Leni Riefenstahl bei den Aufnahmen zu „Olympia“
  • Geh mir weg mit Kultur!

Jetzt sitzt bestimmt der ein oder andere vor diesem Artikel, schnippt mit dem Finger und möchte am liebsten in den PC schreien: „Herr Autor! Herr Autor! Ich weiß wie es weiter ging. Nach dem Krieg kam der Heimatfilm!“ Nun, das stimmt so nicht. Nach dem 2. Weltkrieg war erstmal das Genre des „Trümmerfilms“ beliebt. Die Alliierten wollten den Deutschen so schnell wie möglich das Ausmaß des Schreckens zeigen und das „Medium“ Film war da sehr beliebt. Ich kann nur spekulieren, wie sich ein deutscher Kinozuschauer gefühlt haben muss, wenn er Ende der 40er Jahre z.B. Chaplins „Der große Diktator“ gesehen hat. Positiv und froh ging man damals bestimmt nicht aus dem Lichtspielhaus. Umso mehr es Leid und Zerstörung gibt, umso mehr braucht das Volk Unterhaltung. Böse Zungen würden jetzt sagen, dass man diese Art von Unterhaltung zum „vergessen der Vergangenheit“ brauchte. So weit von der Wahrheit ist diese These wahrscheinlich auch nicht, denn in den folgenden Jahren wurde der Heimatfilm zum beliebtesten deutschen Genre. Man muss sich das einmal vorstellen. Keine 10 Jahre nach der größten Katastrophe der Geschichte, waren die Trümmer weg, die Wirtschaft blühte und die Deutschen rennen ins Kino um Filme mit genau einer Botschaft zu schauen: „Ach, wie schön ist es hier“. Die Künstler aus der Vorkriegszeit entwickelten ihre Filme mittlerweile im Ausland und hierzulande gab es keine Anstalten, die Filmkultur neu aufleben zu lassen. Es gab, so deutlich kann man es sagen, einfach keinen Bedarf an einer deutschen Filmkultur. Der Staat förderte also nichts, das Publikum reichte der Konsum von internationalen Filmen und für die private Wirtschaft rentierte sich die einfache Unterhaltung mehr als irgendwelche Experimente. So hätte alles weiter laufen können und die damalige Situation erinnert schon sehr an heutige Zeiten, aber die blöden 60er Jahre mit ihren gesellschaftlichen Veränderungen mussten ja dazwischen kommen. Die großen sozialen Umbrüche, die Rebellion der Jugend und der Beginn einer echten Vergangenheitsbewältigung machten auch vor den Kinos nicht halt. In dieser Zeit entstand ein neuer und vielleicht auch der letzte Atemzug einer Filmkultur im eigenen Land: Der neue deutsche Film!

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Mit seinem Tod endete eine Ära: Rainer Werner Fassbinder
  • (Schwarz-Rot-)Goldene Zeiten

Von den 60ern bis Anfang der 80er ging die vielleicht künstlerisch wertvollste Zeit des deutschen Films.  Von Rainer Werner Fassbinder mit „Angst essen Seele auf“, über Wim Wenders mit „Der amerikanische Freund“, Werner Herzog mit großen Produktion wie etwa „Aguirre, der Zorn Gottes“, bis hin zu späten Werken wie der erste Oscargewinner aus Deutschland „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff und der vielleicht letzte große Film dieser Ära: Wolfgang Petersens „Das Boot“. Jedoch könnte man fast behaupten, dass das deutsche Kinopublikum nicht mehr zu retten war. Entgegen der ersten Blütezeit in den 20er Jahren waren die Produktionen des „Neuen Deutschen Films“ zwar wahnsinnige Kritikerlieblinge, aber kommerziell kaum bedeutend. Erst spätere, einzelne Filme wurden auch Kassenschlager, aber dann war der „neue deutsche Film“ auch schon wieder Geschichte. Aber was kam danach? Immerhin liegen zwischen Anfang der 80er und Heute fast 40 Jahre. In dieser Zeit etablierte sich die „Berlinale“ als eines der größten Filmfestivals der Welt, die Filmförderung erlebte Höhen und Tiefen, aber insgesamt wuchs die Menge an Geld und immer wieder entstehen hierzulande bedeutende künstlerische wie auch kommerziell erfolgreiche Streifen. Doch die Auswahl ist gering. Hier mal ein Film über die NS- oder DDR-Zeit, da mal eine Buchverfilmung und irgendwo gab es bestimmt auch mal Überraschungshits. Doch an welchem Punkt sind wir heute Filmhistorisch angelangt? Hat der deutsche Film eine Identität, ein Alleinstellungsmerkmal, eine Vision und Antworten auf die heutige Zeit? Wie stehen wir im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz da, was die Erfolge bei Kritikern und Publikum angeht? Wie gehen wir mit unserem Erbe um? Kurz gesagt: Hat Deutschland eine Filmkultur im Jahr 2019 und noch viel wichtiger: Brauchen wir überhaupt eine?

Zu viele Fragen für einen einzelnen Beitrag, deshalb wird es natürlich noch einen zweiten Teil geben. Da gehe ich dann ausführliche auf die heutige Situation ein, definiere den Begriff der „Filmkultur“ im Zusammenhang mit Kunst und Kommerz, vergleiche Zahlen und Fakten und gebe selbstverständlich auch meine eigene Meinung zum Besten. Gerade den Bezug zwischen dem Kulturmedium „Film“ und der heutigen Zeit finde ich da am spannendsten. Bis dahin hoffe ich, dass dieser kleine Geschichtsbeitrag euch gefallen hat, wünsche euch frohe Ostertage und glaubt mir, alles was ihr heute gelesen habt wird beim zweiten Teil noch wichtig 🙂

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16 Comments

  1. Über Murnau und Lang muss man nicht vreden. Das waren visionäre Könner und Wegbereiter ganzer Genres.
    Riefenstahl war eine hervorragende Regiesseurin. Sie wusste, wie man Filme dreht. Das scheint dem heutigen deutschen Kino irgendwie zu fehlen.
    Was haben wir denn heute? Schweiger *auweia* oder diese Goethe – Filme. „Ich bin zu blöd für die deutsche Sprache“ hatten wir alles schon… In den 80ern wurde genug Schrott produziert.

    Ich frag mich auch immer, woran es liegt, wenn ich einen deutschen Film sehe: Hölzerne Dialoge, Action und Spannung bleibt oft auf der Strecke oder wirkt teilweise recht spartanisch. Und so wirklich einprägsame Gesichter sucht man auch lange bei den deutschen Schauspieler/innen.

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    1. Mir fehlt eher eine Identität, ein positives Merkmal, eine Vision wie es andere Filmkulturen haben. Über die Qualität kann man dann immer noch meckern 😁 Gerade die Personen und Filme die du aufzählst verhindern eine Entwicklung, aber dazu mehr im zweiten Teil 😉

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  2. Meine Hypothese ist der deutsche Film hat vor allem ein Kommunikationsproblem. Und das ist kein ganz neues. Hört man „Neuer Deutscher Film“ denkt man automatisch an regnerisch-grauen Realismus und Böll-Verfilmungen. Dabei hat Fassbinder SciFi gemacht (Welt am Draht), Wim Wenders den von Dir erwähnten neo-Noir ‚Der amerikanische Freund‘ oder Herzog Horror mit seinem ‚Nosferatu‘ Remake.

    Dieser Tage ist das aber schlimmer denn je. Ich nehme niemandem übel, der glaubt der deutsche Film besteht aus Nazi Dramen, RomComs und der gelegentlichen, albernen Komödie. Wieviele Leute haben ‚Victoria‘ im Kino gesehen? So um die 5? Warum? Weil es absolut keine Werbung, keinen Hinweis auf den Film gab. Aber ist der neue Schweiger im Kino, komme ich nicht von meiner Wohnung zum Bus ohne an 8 Plakaten vorbeizulaufen (ja, ich habe das gezählt!). Ausnahmen gibt es natürlich. Fatih Akin etwa macht was auch immer er will und bekommt immerhin noch etwas Aufmerksamkeit. Aber wenn ich bedenke wie viel Kreativität ungesehen in Archiven oder tief in Streamingdiensten verschwindet, entweder um nie wiedergesehen oder aber als „Geheimtipp“ entdeckt zu werden…

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  3. Na du weißt wie man Spannung aufbaut 😉
    Bevor der zweite Teil erscheint mal eine ganz grundlegende Frage. Welche Identität/Vision würdest du denn beispielsweise Hollywood zuschreiben? Oder dem französischen Kino? Ich bin mir nämlich nicht ganz sicher was du damit meinst.

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