Film Wichteln #10 – Tag

Als mir dieser Film zugewiesen wurde wusste ich, dass ich mit Sicherheit einen der speziellsten Wichtelfilme zugelost bekommen hatte. Doch dachte ich mir, dass er bei mir vermutlich noch relativ gut aufgehoben sei, da ich zunächst einmal für jede Art von Film aufgeschlossen bin und seit geraumer Zeit mich ohnehin vermehrt für das asiatische Kino interessiere (das koreanische im Besonderen). Von dem Film hatte ich zuvor noch nicht einmal im entferntesten etwas gehört und lediglich den Namen des Regisseurs, Sion Sono, habe ich erst vor kurzem zum ersten Mal irgendwo aufgeschnappt, als es um einen Film ging den er dieses Jahr mit Nicholas Cage herausgebracht hat („Prisoners of the Ghostland“ – habe ich aber nicht gesehen).

Vollkommen ohne Erwartungshaltung und Vorwissen bin ich also an den Film gegangen, was nach langer Zeit eigentlich mal wieder eine nette Abwechslung und Erfahrung war. Einzig den Klappentext von Amazon – wo der Film verfügbar ist – habe ich mir vorher auf die Schnelle durchgelesen. Womit wir auch schon zur Problematik kommen, die sich mir nun auftut: Wie gehe ich jetzt an die Filmbesprechung heran, ohne zu viel von der Handlung vorweg zu nehmen? Schließlich trieft sie vor Überraschungen, Knobeleien, Metaphern, Metaebenen und Sozialkritiken, die besonders Spaß machen je weniger man vorher darüber weiß. Und hier komm ich wieder zum Amazon Klappentext, der zwar nur die ersten 5 Minuten des Films vorwegnimmt, bei denen es aber direkt richtig zur Sache geht und wo sich mir gleich die Frage stellte, wie die Eröffnungssequenz wohl auf jemanden wirken muss, der überhaupt keine Ahnung hat.

Jetzt habe ich sicher durch meine mysteriösen Andeutungen das ein oder andere Interesse geweckt, doch für diejenigen unter euch, die zumindest ein bisschen an die Hand genommen werden möchten, verrate ich so viel: Der Beititel des Films – „A High School Splatter Film“ – ist Programm und gibt einem genau das, was man sich darunter vorstellt. Aber gleichzeitig irgendwie auch nicht. Zunächst erfüllt er alle Klischees, die man damit asoziiert: Der Film fängt an mit einem Reisebus voll hübschen japanischen Schulmädchen in viel zu kurzen Röcken, die plötzlich IM BUS (!!!) aus dem nichts mit einer Kissenschlacht anfangen. Damit weiß man jedoch auch gleich als Zuschauer: Okay, der Film ist so drüber, dass man viele Szenen nicht allzu ernst nehmen sollte. Zugleich wird sie im Nachhinein exemplarisch für etwas, dass der Film im späteren Verlauf noch kritischer thematisiert: Die Schaulust von Männern, die der Grund dafür sind das solche Klischees überhaupt Teil von heutigen Sehgewohnheiten sind.

Und schließlich wird eines dieser Schulmädchen, Mitsuko, Zeuge von blutigen Ereignissen, die von einer unerklärlichen Macht herbeigeführt werden, und wird geradezu von ihnen verfolgt.

Mehr will ich wirklich nicht verraten und ich möchte jeden dazu anhalten am Film dranzubleiben, auch wenn er noch so oberflächlich beginnt und bescheuert scheint. Denn ob man es glaubt oder nicht, schafft er es enorm an Tiefe zu gewinnen und vollführt damit einen Drahtseilakt zwischen absolutem Quatsch, den wir hier größtenteils vorgesetzt bekommen, und einer zweiten Bedeutungsebene mit der man sich gerne noch länger auseinandersetzt. Eins der wenigen Kritikpunkte, die ich habe, ist, dass er uns seine Messages und Metaphern das ein ums andere Mal vielleicht etwas zu sehr mit dem Vorschlaghammer um die Ohren haut, doch im Großen und Ganzen ist es dem Film wirklich hoch anzurechnen, dass sein Konzept wunderbar aufgeht, denn das könnte auch genauso schnell nach hinten losgehen. Ich würde es vielleicht ein wenig mit dem ebenfalls japanischen „One Cut of the Dead“ vergleichen, der den Zuschauer ähnlich dafür belohnt, wenn man bei dem ganzen Quatsch ein Auge zudrückt und der rückblickend manchen Details und Auffälligkeiten sogar an Bedeutung gibt. Oder ich musste auch viel an „Triangle“ denken, ebenfalls ein blutiger Horrorfilm, der einem viel Interpretationsspielraum bietet und Parallelen zu „Tag“ aufweist. Den habe ich damals von Ma-Go empfohlen und ausgeliehen bekommen. Ich würde tatsächlich auch vieles darauf verwetten, dass er mein Wichtel ist, denn mein Film schreit geradezu nach ihm.

Damit bleibt mir nur noch ein großes Dankeschön an meinen Wichtel auszusprechen, ohne den ich von diesem Film womöglich nie gehört oder ihm nie eine Chance gegeben hätte. „Tag“ war wirklich eine absolute Überraschung, bei dem ich mehrmals lautstarke Lacher und Ausrufe wie „What the fuck?!“, „Das ist jetzt nicht sein ernst oder?“ oder „Ach komm, hör schon auf“ von mir geben musste. Es war echt schön mal wieder so unerwartet eine kleine Perle entdecken zu können, daher auch großen Dank an Marius fürs möglich machen. Ich wünsche allen frohe Festtage und viel Gesundheit!


Wichtel von The Home of Horn

Text von Wermi

Übersicht der Wichtel-Texte

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3 Comments

    1. Von diesem Ma-Go habe ich jetzt schon an verschiedenen Stellen gelesen. Was muss das für ein Mensch sein, wenn so ein Film nach ihm schreit? Naja, offensichtlich hat dich deine Menschenkenntnis hier mal wieder getäuscht. Der Film interessiert mich aber auch 😉

      Gefällt 2 Personen

  1. Schön, dass Dir der Film gefallen hat. Ich hab mich auch sofort in ihn verliebt, aber bei Sion Sono kann man eh nie viel verkehrt machen (nur Prisonsers of the Ghostland sollte man doch lieber meiden, denn Cage ist dort ein furchtbar frustrierender Fremdkörper).

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