Eine Grabrede auf das Fernsehen

Da stehen wir jetzt am Köln-Deutzer Friedhof. Regnen tut´s und die Füße tun so langsam weh. Der Pfarrer sagt „sie waren ja so herzensgut“ und trotzdem fällt mir das weinen heute so schwer. Das Fernsehen… das Fernsehen ist nicht mehr. Frei nach Ludwig Hirsch – Eine Grabrede für das Fernsehen, je nach Perspektive, zu spät oder zu früh.

Als ich klein war…

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich an diesem dunklen Tag die Rede der Nation halten zu dürfen. Wir trauern heute um einen lieben Freund aus Kindheitstagen, der uns in schweren wie auch freudigen Stunden begleitet hat. „Das Fernsehen“ war für uns alle wohl ein ständiger Wegbegleiter, egal ob ihr aus einer Generation mit drei Sendern und maximal einem Gerät pro Haushalt kommt oder (wie bei mir) das Programmheft quasi der Terminkalender der Kindheit war. Hausaufgaben wurden gerne mal bis zur Verzweiflung der Eltern verschoben, wenn die Piraten, Taschenmonster und Detektive aus Fernost über den Bildschirm flimmerten. Wo die Rentner heute keine Folge der „Roten Rosen“ und Co. verpassen dürfen, um ja auf dem neusten Stand zu bleiben, so waren bei uns die Animes das tägliche Pflichtprogramm. Weniger Pflicht, dafür trotzdem irgendwie immer sehr stark anwesend, die anderen Serien auf unzähligen Programmen. Wie stark mein Fernsehkonsum war zu jener Zeit? Nun, die scheinbar unbegrenzte Anzahl von Introtexten, One-Linern und Szenen in meinem Gedächtnis, sprechen eine eindeutige Sprache. Dass nicht nur ich in meiner Generation vielleicht das ein oder andere Mal vor dem Fernseher „geparkt“ wurden bin, lässt sich ganz einfach beweisen. Stimmen Sie doch aus Spaß mal in einer Kneipe mit vorwiegend jungem bis mittelaltem Publikum, um ca. 2 Uhr morgens, die ersten Töne der Gummibärenbande an. Selbst die größten Schnapsleichen erheben sich dann aus ihrem Delirium. Nostalgisch wird es natürlich nicht nur bei den Serien. Die großen Momente der Fernsehgeschichte, wo scheinbar jeder vor dem Gerät hing. Die Samstagabend-Shows aller „Wetten, dass…“, die beinahe tägliche Komik-Kost bei „TV Total“ oder jährliches Eventfernsehen mit dem „Domino Day“. Es wäre unangemessen für eine Grabrede darauf hinzuweisen, dass während diese Sendungen ausgestrahlt wurden sind, sich eigentlich alle nur darüber beschwert haben. Heute ist ein Tag der Trauer und des Innehaltens, da ist kein Platz für irgendwelche Gehässigkeiten. Die Toten muss man in guter Erinnerung erhalten, die Nostalgie darf sprudeln und die Negativschlagzeigen der letzten Jahrzehnte dürfen verdrängt werden. Das Fernsehen hat seinen Job gut gemacht, es war immer für uns da… und… ähm… nun… HAT DER SARG GERADE GEZUCKT?!“

Die Alte ist auf einmal wieder jung?!

„Sehr geehrte Damen und Herren,

entschuldigen Sie die kurze Verzögerung. Scheinbar hat sich das Fernsehen wie ein Zombie (typisch für die, jetzt noch auf den Zombie-Zug aufzuspringen) erhoben und versucht nun zu erklären, dass es gar nicht tot sei! Experten versuchen gerade diesen Scheintot oder diese zwischenzeitliche Verwesung zu erklären. „Das Fernsehen“ selbst erklärt, es habe nur „geschlafen“, bis dieser „Streaming-Hype“ vorbei ist und dann alle wieder zurück zum guten, alten Original kommen. Wie wir alle wissen, wurde aus dem Hype die neue Realität für Millionen von Menschen und das Fernsehen kam sich eher so vor, wie der alte Opa aus der EDEKA-Weihnachtswerbung. „Jedoch sei jetzt damit Schluss“ lässt das Fernsehen verlautbaren. „Man sei mit dem immer noch aktuellen Premiumprogramm an der Speerspitze der deutschen Medien-Kultur“ Ich zitiere weiter: „Die Nachrichten berichten über das (ihrer Meinung nach) Wichtigste im Weltgeschehen, Großereignisse im Sport gucken immer noch die meisten Menschen im Fernsehen, die Samstagabend-Shows bekommen ein Revival mit bspw. „The Masked Singer“, die hochwertigen Serien gibt es jetzt auch im linearen Programm mit „Das Boot“ und man darf auch nicht die ganze Aufklärungsarbeit vergessen, von Sex bis Nazis mit „Naked Attraction“ und den NTV-Hitler-Dokus. Und außerdem sind wir voll cool im Internet unterwegs!“ – So weit die Stellungnahme des Zombies. Experten von sehr renommierten Forschungskreisen in der Eifel stimmen dem jedoch nicht zu. Das Durchschnittsalter von Zuschauerinnen liegt bspw. bei den öffentlich-rechtlichen bei 62 Jahren und kleiner Spoiler, das wurde über die letzten Jahre nicht besser. Natürlich hat man versucht dagegen zu wirken, mit unübersichtlichen Mediatheken zum Beispiel. Außerdem scheinen ja auch manche noch an das Fernsehen zu glauben. So gibt es aktuell einen neuen Sender der BILD-Zeitung, auf den Deutschland nun wahrlich zu lange warten musste. Selbst die Experten geben zu, ab und an das Programm zu verfolgen, dass ebenso nur das Fernsehen bieten kann. Das Live-Erlebnis bei Sport und Shows zum Beispiel. Jedoch ist das selbstverständlich im Streaming genauso gut zu konsumieren. Immerhin, das muss nochmal betont werden, ist dies eine Grabrede für das Fernsehen, nicht für die Konzerne und Anstalten im Hintergrund. Die schaffen das schon alle größtenteils, dem Tod nochmal von der Schippe zu springen und sich zumindest noch ein paar Jahrzehnte zu halten, bis auch da die meisten der Konkurrenz der gigantischen Firmen zum Opfer fallen oder sich in einer kleinen Nische gemütlich machen. Nein, diese Grabrede dient alleine dem linearen Konsum am Fernsehgerät, den alten nostalgischen Gefühlen die niemals wieder zurück kommen werden, der Mief der Fernsehgeräte den man heute nicht mehr riechen kann – kurzum: „Das Fernsehen“ ist wirklich tot und das ist auch gut so.“

Es wird ein bissl komisch

Die letzten Szenen sind wirklich tragisch, bevor die Schaufeln zum Baggern ansetzen und die Würmer sich auf das Festmahl freuen. „Das Fernsehen“ wehrt sich wirklich leidenschaftlich, ja mit Händen und Füßen. Gesprächsfetzen wie „aber das Radio lebt ja auch noch“ sind zu hören und auch unschöne Dinge werden zwischen Zombie und Grabschauflern ausgetauscht. Würde das Fernsehen noch leben, es würde von seiner eigenen Beerdigung in allen Boulevard-Magazinen berichten und Veronica Ferres würde schon mal ihre Rolle als schwarze Netflix-Witwe üben. Der Mob ist wirklich unausstehlich. Sie wollen das Fernsehen einfach tot sehen, es muss Platz für neues gemacht werden. Es gibt einfach ein Überangebot an Medien und da ist das Fernsehen, so hart es klingt, einfach verzichtbar. Aber keine Angst, liebes altes Fernsehen, die Wissenschaft kommt dir mit einem Mittel namens „nostalgische Verklärung“ irgendwann zur Rettung. Dann, am Tag X, wenn das lineare Programm schon längst Staub geworden ist, kommt irgendwo ein wahnsinniger Geschäftsmann in Unterföhring auf die glorreiche Idee, einen sogenannten TV-Sender zu gründen. 24/7, nur mit Programmen die zu einer bestimmten Zeit erreichbar sind. Verrückt! Mit Live-Sport, Event-Shows, Nachrichten, Soaps und Softpornos im Wechsel mit Gewinnspielen ab Mitternacht. Die Leute werden ihre nostalgischen Schallplatten-Sammlungen verkaufen, um sich wieder ein Fernsehgerät im Original-Vintage-Style zu kaufen, so wie die Urgroßeltern das im Jahr 2005 hatten. „Retro-TV“ geht durch die Decke, ein paar Leute werden kurzzeitig reich, der Offline-Hype grassiert durch die Republik und die Alten bekommen das größte Déjà-Vu ihres Lebens. Immer mehr Sender kommen zurück. Amazon präsentiert „NeoSat1“ und Luxemburg beruft sich auf ihre Uralte „Fernsehtradition“. Retro-Shows feiern ihr Comeback, von Promis die im australischen Klima-Studio (Außendrehs sind ab 50 Grad leider verboten) ekelhafte Dinge essen müssen bis hin zu Rateshows, wo Leute bis zu einer Millionen Euro-Dollar gewinnen können. Nur was damals der „Telefonjoker“ war, können sich auch die größten Retroexperten nicht mehr erklären. Das neue lineare TV ist in aller Munde und der größte Verkaufsschlager 2121. Währenddessen steht ein einsames, längst vergessenes Grab am Köln-Deutzer Friedhof mit der Aufschrift: „Hier liegt das Fernsehen, es war mutig und freundlich, so tapfer und gläubig, fröhlich und frech, kämpfte nur für dich“

Das war mein kleiner Beitrag für den August. Der versprochene-Kooperations-Beitrag erscheint dann hoffentlich im September. Bevor ihr jetzt in den Kommentaren Kritik zum Text loslasst und hoffentlich darüber diskutiert, ob das Fernsehen wirklich tot ist, noch eine Kleinigkeiten in eigener Sache: Hier in Mainz sind die einzigen Programmkinos bedroht und es läuft aktuell eine Petition dagegen. Es würde mich sehr freuen, wenn auch ein paar Leute aus der Blogosphäre diese unterschreiben und vielleicht sogar teilen würden: https://www.change.org/p/capitol-palatin-erhalten

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