Eine Kino-Odyssee

Der Vorhang geht auf und der diesjährige Oscar-Gewinner „Nomadland“ strahlt auf der Leinwand. Ich sitze im gemütlichen Kinosessel, ein Kaltgetränk in der Hand und habe nur einen Gedanken: „Wenn jetzt noch irgendwas schief geht, es würde mich wahrscheinlich nicht einmal mehr wundern“. Zum fünften Mal innerhalb einer Woche bin ich im Kino, sehe jedoch erst meinen dritten Film. Was ist passiert wollt ihr wissen? Ich nehme euch mal mit auf meine „Kino Odyssee“

Mainz, Ende Juni 2021

Die Freude ist groß, die Kinos machen bald wieder auf! Am 01. Juli 2021 soll es auch hier in Rheinland-Pfalz soweit sein und die Lichtspielhäuser öffnen wieder ihre Tore. Mit Corona-bedingten Sicherheitsmaßnahmen, versteht sich. Man kennt es ja vom letzten Jahr: Sitze im Schachbrettmuster schützen uns vor nervigen Nachbarn links, rechts, vor und hinter einem. Ach ja, vor dem Virus natürlich auch. „Sollte sich ja nicht viel verändert haben“ denke ich zu mir selbst und könnte falscher nicht liegen. Immerhin gibt es seit diesem Jahr eine große Teststrategie und im Frühjahr habe ich beinahe jeden dritten Tag meinen wöchentlich-kostenlosen Test gemacht. Aber wir haben beinahe Juli und selbst zum Essen gehen braucht man in diesem wunderschönen Bundesland kein Stäbchen in der Nase mehr. Der Gedanke vom ersten Kinobesuch des Jahres lässt mich nicht mehr los und so gehe ich zwei Tage vor Start ins heimische Cinestar, um mir die Online-Vorverkaufsgebühr zu sparen. Da ich auf der Website keine aktuellen Öffnungszeiten gefunden habe, mir aber gedacht habe, dass so kurz vor Wiederaufnahme des Betriebes schon am Nachmittag irgendjemand vor Ort sein soll, fahre ich gut gelaunt in die Mainzer Innenstadt. Allerdings verliere ich an diesem Tag nur ein bisschen Sprit und kein Geld für ein Ticket, denn das Kino war natürlich geschlossen. Naja, Versuch war es wert, dann bestell ich die Karte halt in der App. Meine Wahl für den ersten Kinofilm fiel auf „Demon Slayer – The Movie“, die Filmfortsetzung eines Animes, den ich schon in der Kinotagesstätte sehr gelobt habe. Bis auf die Ein-Euro-Vorverkaufsgebühr, wo ich kurz mit den Augen rollen musste, ging auch alles glatt und ich hatte mein digitales Ticket in der Hand. Alles wie in den guten, alten Zeiten.

Mainz, 01.07.21 – Kurz vor 20 Uhr

Mein Auto nimmt die letzte Kurve zum Cinestar und was erblicken meine freudigen Augen: Eine riesige Schlange bildet sich vor dem Eingang des Kinos. Ich bin scheinbar nicht der einzige, der wieder richtig Lust auf die großen Säle hat. Mit dem Auto schnell ins Parkhaus, Maske eingepackt und ab mit der Zigarette in die Warteschlange (Da freuen sich auch die Nichtraucher über den 1,5m Abstand). Während ich am Ende der Schlange stehe, sollte der Film drinnen schon bald losgehen. Da ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass die Werbeblöcke kürzer geworden sind, stand ich in aller Ruhe bei ganz ordentlichen Wetter und bewegte mich in der Warteschlange alle paar Sekunden nach vorne. Genug Zeit, um mir meine Mitstreiter der ersten Stunde mal so anzuschauen. Erst war ich verwundert, dass sich so viele ihr Ticket auf ein Blatt Papier ausgedruckt haben, doch nach ein paar Minuten erschien ein Gedanke in meinem Kopf: „Man wird ja wohl keinen Corona-Test für den Kinobesuch brauchen… oder?!“ Panik, Schnappatmung und mit zittrigen Händen wische ich auf meinem Handy hin und her. „Das stand da noch nirgendwo. Das hätte doch in der Bestätigung gestanden. Irgendwie müssen die einen doch darauf hinweisen“. Eine kurze Google-Recherche und die vereinzelten verärgerten Besucher die am Eingang wieder kehrt machen mussten, bringen mir jedoch Gewissheit: Ja, ich brauch einen Test und das so schnell wie möglich. Schnell renne ich zur nahen Apotheke, gleichzeitig google ich um mein Leben um eine nahe Teststelle zu finden. Apotheke hat zu, Supermarkt um die Ecke bietet nichts an, Innenstadt gibt es nichts in Fußreichweite… Es war vorbei. Selbst mit einem Sprint durch die Innenstadt, würde ich so viel vom Film verpassen, dass sich ein Besuch heute Abend nicht mehr lohnt. Ich gehe zurück zum Parkhaus, sehe am Kino mehrere aufgebrachte Menschen am Eingang diskutieren und fahre mit dem kleinen Trost nach Hause, 11€ an die Kinos in Not gespendet zu haben.

Mainz, 07.07.21 – Gegen Mittag

Alles wird anders dieses Mal! Auch wenn der erste Kino-Versuch des Jahres ein Griff ins Klo war, lässt man sich davon nicht entmutigen. Da Planung ja bekanntlich alles ist, schaue ich mir einfach zwei Filme an einem Tag an und muss dann nur einen Test machen. Gesagt, getan. Mittagsvorstellung „Godzilla vs. Kong“, Abendvorstellung mit dem zweiten Versuch „Demon Slayer – The Movie“. Ich mach also den Test an einer der zahlreichen Stationen, denk mir noch, dass dieser mit Sicherheit negativ sein wird, da das Stäbchen kaum meine Nase berührt hat und mach mich ein zweites Mal auf dem Weg zum Kino. Unterwegs erscheint mein Testergebnis: Negativ. Surprise! Im Kino selbst war natürlich sehr wenig los um die Zeit, nur ein paar Familien machen anscheinend schon verfrühten Urlaub und ich hoffe einfach nur, dass keine Mutter denkt, dass ihr kleines Kind mit dem Affen und der Eidechse schon klar kommt. Am Eingang dann die erste Überraschung: Die Testpflicht ist aufgehoben. „Na sowas aber auch“ sage ich zum Mitarbeiter, während ich mir den Rest einfach denke. Angekommen im Saal, ergibt sich ein wahrlich tolles Bild. Der komplette Raum ist leer. Ich gehe auf meinem Platz und bin schon am Überlegen 10mal das „Vater Unser“ runterzubeten, um den Herrgott zu bitten, keinen mehr in diesen Saal reinzulassen. Tja, hätte ich das mal lieber gemacht, denn mit dem Beginn des Films, kommt eine Gruppe Jugendlicher in den Saal mit den Worten: „Vallah, Digga alles leer man“. Nun gibt es unzählige Momente in meinem Leben, wo ich den ersten Eindruck korrigieren musste und sich Leute dann doch anders geben, wie man vielleicht im ersten Moment vermuten würde. In diesem Fall nur leider nicht. Die Kurzfassung vom Kinonachmittag: Die Jungs und Mädels hatten sehr viel Spaß, ich weniger. Auch wenn der Film relativ große Grütze war (ich sag nur: Hüpfender King Kong in der Hohlerde), muss ich der vielen Action dankbar sein, so war der Film nämlich meistens lauter als meine Mitmenschen. Etwas genervt, aber dann noch mit etwas Zuversicht, verlies ich das Kino, nur um abends wieder zu erscheinen. Mit Publikum bei Special-Vorführungen habe ich eigentlich immer ganz gute Erfahrungen gemacht und der kleine Optimist in mir gewann die Oberhand. Was dann jedoch passierte, sprengte meine Vorstellungskraft. Ob es nun daran liegt, dass der Film auf Deutsch lief und die Leute somit keine Untertitel lesen mussten oder ob meine Toleranz-Grenze für das Verhalten meiner Mitmenschen in den Lockdown-Monaten einfach nur auf ein Minimum gefallen ist, aber dieser Saal glich der Hölle auf der Erden. Kurzer Rundumschlag zu meinen Nachbarn dort: Rechts neben mir saß eine ältere Dame, die über alles lachen musste, was schon in der Werbung davor passierte. Nur wenige Minuten im Film und diese Dame war schon mein Liebling, denn der Rest war einfach nervtötend. Vor mit saß ein Mädel, dass ungefähr die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs hatte oder eine ausgeprägte Handy-Sucht, denn sie schaute immer wieder auf ihr Smartphone. Vielleicht fand sie den Film auch einfach nicht so doll. Den Streifen richtig klasse fanden dagegen die zwei Mädchen hinter mir, die jeden neuen Charakter fast anbeteten und aufschrien, wenn einer der Anime-Jungs cool in die Kamera schaute. Zwischendurch lief ein Wasserfall an Gelaber, das nur aufhörte, wenn in einer emotionalen Szene der Saal leise war und sie sich wohl ertappt fühlten. Hinten rechts von mir waren drei junge Männer, die gar nicht so oft redeten, aber wenn sie es taten, einfach nicht verstanden haben, wie das nochmal mit dem „flüstern“ so funktioniert. Zum Schluss waren da noch die zwei Jungs links von mir, die schon während der Werbung am abnerden waren und es auch nicht einsahen, diese Gespräche während dem Film abzustellen. Nebenbei erklärte wohl auch noch einer der beiden dem anderen, was da genau passiert, weil er wohl den Anime nicht gesehen hat. Normalerweise sage ich ziemlich am Anfang des Films zu den Leuten etwas, damit halbwegs Ruhe herrscht bis ich mich in den Film verlieren kann. In diesem Fall hätte ich einmal laut aufschreien müssen, damit um mich herum halbwegs weniger gelabert wird. Das war mehr ein gut besuchter Tag in der Uni-Mensa als ein ruhiger Kinobesuch und so ging ich verärgert zügig nach dem Film nach Hause. Immerhin: Der Streifen war recht gut und ich freue mich schon darauf, ihn nochmal entspannt zu Hause schauen zu dürfen.

Mainz, 08.07.21 – Der nächste Morgen

Jetzt könnte vielleicht auch der ein oder andere anmerken, dass man ja auch nicht in das Multiplexkino geht, weil solche Häuser eben das „schwierige Publikum“ anziehen. Einen ähnlichen Gedanken hatte ich auch und so stand am nächsten Tag ein Film im Programmkino auf dem Plan. Allerdings nicht irgendein Film, sondern der diesjährige Oscar-Gewinner „Nomadland“ sollte mich an diesem Abend unterhalten. Da das Programmkino mitten in der Innenstadt liegt, lies ich das Auto mal ruhen und entschied mich für die Bahn. 2,80 € für knapp 15 Minuten Fahrt… und das Ganze auch nochmal zurück. Warum abseits von Studenten und Arbeitnehmern in der Stadt so viele Leute immer noch mit dem Auto durch die Gegend fahren wollt ihr wissen? Genau deshalb! Steigern kann man den Preis übrigens auch noch, wenn man morgens schon ein Ticket kauft und danach von der App erinnert wird, dass das digitale Ticket nur für den sofortigen Fahrtantritt gültig ist. Ich habe also mehr für die Bahn ausgegeben als für die Kinokarten. Aber um müdes Bahn-Bashing soll es hier ja gar nicht gehen, sondern um den nächsten Kinobesuch. Wie oben in der Einleitung schon geschrieben, saß ich in diesem Programmkino und sah Nomadland, nur leider halt nicht an diesem Tag. Was war passiert? Ich verließ die Bahn und ging gut gelaunt zum schönsten Kino der Stadt. Dort traf ich auf eine gut gelaunte Mitarbeiterin und mehrere Zettel die um sie herum hingen, mit der Aufschrift: „Nachweis über Impfung / Genesung oder negativen Test an der Kasse vorlegen“. Natürlich dachte ich mir, dass die Mitarbeiter dort einfach noch nicht die Zettel abgehangen haben, weil die Testpflicht auch erst am Tag zuvor abgeschafft wurden ist. Ich muss es ja wissen, immer hatte ich am Vortrag umsonst einen Test für das Cinestar gemacht. Die Mitarbeiterin schaute mich aber nur irritiert an und verwies darauf, dass es mit Sicherheit eine Testpflicht für Kinos gibt. Da ich mal wieder kurz vor knapp am Kino erschien, was es zu spät ein Testcenter aufzusuchen. Mein letzter Ausweg: Der digitale Impfpass. Mein zweiter Shot mit dem Mainzer Premiumstoff war zu diesem Zeitpunkt genau zwei Wochen her und somit müsste mein Impfpass doch aktiv sein oder? ODER?! Nein, natürlich nicht. Erst ab dem 15. Tag stellt sich die App um und mir blieb nichts anderes übrig, als wieder zur Bahn zu gehen und nach Hause zu fahren. Für verdammte 2,80 €!

Mainz, 09.07.21 – Wieder ein Tag später

Der 15. Tag nach meiner Impfung ist vorbei und die Welt kann mich mal! „Jetzt kann gar nichts mehr schief gehen“ denke ich mir und gehe in meinen Kopf nochmal alle Möglichkeiten durch. Ich steige also ins Auto (einmal Geld verbrennen für die Bahn hat mir gereicht), fahre zu einem Kumpel zum Parken, gehe die letzten Meter zum Programmkino und schreite zur Kasse. Das Handy mit dem Impfpass bereit zum Vorzeigen. Siehe da, die gleiche Mitarbeiterin ist wieder da, aber irgendwas fehlt… Genau! Die Zettel an den Scheiben sind nicht mehr da. Ich gehe also zur Kasse und halte mit meiner Bestellung den Impfpass in der Hand. „Oh man braucht gar keinen Nachweis oder Test mehr für das Kino. Warten Sie mal, Sie waren gestern schon da oder? Das tut mir Leid, da hat uns keiner Bescheid gesagt, dass die Testpflicht aufgehoben ist“. Ich grinse leicht und sage mit kehliger Stimme „Ach, kein Problem“. Den Satz „5,80 € für die Bahn bekomm ich auch nicht mehr zurück“ denke ich mir natürlich nur, die Arme kann ja auch nichts dafür. Kopfschüttelnd und mit zynistischen Gedanken gehe ich in den Kinosaal, ein Kaltgetränk in der Hand und endlich lüftet sich der Vorhang: „Nomadland“ – Ein Film mit Ruhe und Gelassenheit, über Probleme, wo meine Kino-Odyssee wirkt wie ein lustiger Kindergeburtstag, mit starken Darstellern, großartiger Musik und Lebens-Einblicken, welche die Welt um mich herum vergessen machen. Dazu die Menschen im Saal, mit denen man lacht im einen Moment und im anderen die Stille genießt. Da ist sie wieder, die Kinomagie. Wie sehr habe ich das vermisst.

Das war mein Monatsbeitrag für Juli und ich hoffe ihr hattet Spaß beim lesen. Wie sehen uns in den Kommentaren oder im August wieder, dann sogar mit einer kleinen Kooperation in Sachen Filmkritik…

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7 Comments

  1. Au weia, welch Odyssee! Ich habe ja schon etwas davon im letzten Nachsitzen-Podcast mitbekommen, aber die Dimension des Pechs schockiert mich dann doch 😉

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  2. Meine ersten beiden Filme nach der offiziellen Wiedereröffnung habe ich auch im Multiplex gesehen (weil für Godzilla vs. Kong sollte es halt schon die ganz große Leinwand sein). Entweder ist man nach der langen Pause sehr viel sensibler geworden, oder das Publikum war wirklich aus der Hölle.

    (Wenigstens war es in Bayern von Anfang an klar, dass es hier keinen Test braucht #teamvorsicht)

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  3. Auch wenn es mir natürlich leid tut, dass du diese Odyssee über dich ergehen lassen musstest, kann ich nicht anders als mich über diesen äußerst amüsanten und sehr gut geschriebenen Artikel zu freuen…so hatte das ganze Fiasko wenigstens auch sein gutes 😉

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  4. Danke für den amüsanten Artikel. Für Dich war das natürlich alles andere als lustig, über manches kann man in Corona-Zeiten wirklich nur den Kopf schütteln!

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