Herzlich Willkommen beim dritten (und letzten!) Teil meiner Reihe der „deutschen Filmkultur“. Ich bitte zu beachten, dass große Teile dieses Artikels vor der Corona-Pandemie entstanden sind und diese Krise, welche eindeutig große Konsequenzen für den Filmmarkt mitbringen wird, keine Bedeutung in den nächsten Zeilen finden wird. Außerdem wird es weniger darum handeln, ob Deutschland eine Filmkultur hat, sondern wie man eine (vielleicht wünschenswertere) erhält.
- Rück- und Vorschau
Teil Eins beschäftigte sich mit der Geschichte, Teil Zwei mit der Gegenwart und ein paar Gedankenspielen und Teil Drei wird… naja, der Rest. Grundlage für den Versuch, aus diesen Beiträgen eine Trilogie zu formen, war ein PDF der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dieses 90-seitige Dokument beschäftigt sich jedoch mit dem politischen Film und ich habe es nur aus Interesse gelesen und nicht mit der Absicht das Ganze in einem Beitrag unter zubringen. Die etwas ältere Arbeit habe ich unten mal verlinkt, wobei es erst ab Seite 69 und mit dem Artikel von Dr. Jan Hans wirklich interessant wird. Im positiven, wie auch im negativen Sinne. Da ich keine Seminararbeit schreibe, werde ich meine Meinung zu den Thesen wiedergeben, ohne jegliche wissenschaftliche Grundlagen o.ä. Das Ende der „Filmkultur-Trilogie“ wird ein reiner Meinungsarktikel, aber immerhin basierend auf eine wissenschaftliche Arbeit. Die eigentliche Doktorarbeit folgt dann selbstverständlich in Teil Vier. Zuvor möchte ich aber ein Blick auf das Publikum werfen. Wie sieht eigentlich ein „Mainstream“-Zuschauer das Kino und wie schätzen „Experten“ die Lage so ein?
- P wie Publikum und Politik
Im Artikel der Stiftung steht direkt ein Satz, worüber es sich zumindest lohnt nachzudenken. Frei übersetzt sieht das (deutsche) Publikum Genre-Filme als reine Fiktion an und Dokumentationen dienen dazu, sich tieferes Wissen über ein Thema oder über Politik anzueignen. Allgemein würde diese Tatsache auch nur für eine hohe Medienkompetenz stehen. Wir können Sätze in fiktionalen Werken, wo scheinbare Fakten erzählt werden, von wirklich wahren Nachrichten und Co. unterscheiden. Das Problem kommt erst dann auf, wenn Spielfilmen eine generelle Tiefe abgestritten wird. Blödes Beispiel: Wenn sich zwei Menschen über Gentrifizierung unterhalten, dann werden sie wohl eher ein Zitat aus einer Talkshow besprechen, als über „Asterix im Land der Götter“ zu fachsimpeln. Ein Animationsfilm kann ja niemals das Thema so gut behandeln wie eine 23 Uhr Doku auf ZDF Neo. Diese nicht allzu ernsthafte Beschäftigung mit der Tiefe fiktionaler Werke, kommt auch den Entscheidungsträgern sehr zur Hilfe. Für alle die es noch nicht wussten: In den Entscheidungskomitees für Förderhilfen sitzen Politiker. Die haben also ein (Mit-)Entscheidungsrecht, was mit den Geldern passiert und welche Filme ein Budget z.B. für Werbemaßnahmen hat und damit auch in unseren Sichtradius gelangen. Schon in der großen Politik können wir sehen, dass „Kompetenz“ nicht unbedingt eine Grundvoraussetzung sein muss, um in ein Amt zu gelangen. Es gibt genug Beispiele, wo Entscheidungsträger munter durch die verschiedenen Ministerien wandern. Eine Legislaturperiode mal etwas für Familien, in der nächsten Zeit dann mal ein bisschen Bundeswehr. Aber ich streife vom Thema ab. Wir haben also Leute in den Gremien, die nicht unbedingt etwas vom Thema „Film“ verstehen, aber gleichzeitig eine enorme Macht haben und einer Partei nahe stehen. Kleines Rätsel: Diese Menschen wollen a) einem Leitmedium größte Unabhängigkeit und Ressourcen geben, damit sich der Zuschauer mit Kultur und Politik auseinander setzt und nebenbei unterhalten wird oder b) möglichst viele Kinobesucher die sich über die dumme Cheyenne amüsieren können und die ernsthaftere Thematik dahinter doch bitte mit dem Lachen runterschlucken sollen. Es entsteht einfach ein fantastisches Modell für den politischen Teil der Filmförderung. Der „Mainstream“ nimmt Spielfilme nicht wirklich ernst? Perfekt! Dann fördern wir doch ganz vieler solcher pseudokulturellen Titel über die Nazi-Zeit oder dem Mauerbau bzw. -Fall und es kann immer schön auf die Statistik verwiesen werden, wie viele geförderte Filme doch wichtige Themen bearbeitet haben. Ganz nach dem Motto „Der deutsche Film ist voll mit Kultur, Politik und Geschichte. Wäre da nicht das dumme Popcorn-Kino aus den U.S.A.!“ In diesem Zusammenhang wird auch mein Lieblingswort im gesamten Artikel erwähnt: „bildungsbürgerlicher Kulturchauvinismus“. Geht runter wie Öl oder?
- Quantität = Qualität?
Ich kann es nicht beweisen, aber meine Vermutung wird zumindest durch den Artikel gestützt: Manche Entscheider denken wirklich, dass die reine Masse an Filmen zu einer kulturellen Auseinandersetzung mit relevanten Themen ausreicht. Pro Quartal ein Film übers dritte Reich um 20:15 Uhr in der ARD plus ein Liebesdrama zu der Zeit im Kino und puff! Wieder ein Jahr wo die Filmförderung die erneute Ausbreitung vom Nationalsozialismus verhindert hat. Dabei ist es vollkommen egal, dass dreiviertel der TV-Filme mit den immer gleichen Schauspielern besetzt wurden sind und den Innovationsgrad eines Steins beinhalten. Die politisch-motivierten Kinofilme haben im Ausland natürlich auch nur Schulterzucken ausgelöst, aber was einmal mit „Das Leben der Anderen“ geklappt hat, muss auch 14 Jahre später funktionieren. Wobei selbst dieses Paradebeispiel damals mit einem Witzbudget gefördert wurden ist. Ein weiterer Grund, warum die immer gleichen Filme für die „Relevanz-Quote“ produziert werden, sind die relativ wenigen Entscheider. Dieses Phänomen kennen wir aus Hollywood z.B. beim MCU. Auch dort haben relativ wenige Personen wirklich die Macht darüber, was produziert wird und was nicht. Ergebnis: Filme die zwar alle ein Grundniveau halten können, aber Ausreißer in Sachen Innovation und Kreativität sieht man viel zu selten. Mal ganz nebenbei, falls ihr mir nicht glaubt, wie nah die höchsten Entscheider der Politik stehen: In Hessen z.B. wird der Leiter der Filmförderung vom Ministerpräsidenten installiert. Jedoch muss man auch da aufpassen! Die Filmförderungen der Länder sind nicht alle einheitlich. Manche machen gar kein Geheimnis daraus, Filme nach wirtschaftlichen und Standort-Interessen auszuwählen, während andere die Wichtigkeit der Kultur höher halten. Bestimmt sind auch nicht alle fachfremde Kulturchauvinisten, die eine Problematik in der Vielfalt der deutschen Filme nicht erkennen würden. Allerdings reden wir über solche Themen schon Jahre, dass der Genrefilm nicht gefördert wird, man auf Masse statt Qualität setzt, immer die gleichen Themen abarbeitet und dabei sogar die immer gleichen Schauspieler einsetzt. So ist der fast einheitliche Tenor der Kritiker und wenn es dann doch Filme schaffen aus dem Raster zu fallen, dann schaffen sie dies nicht wegen, sondern trotz der kulturellen Filmförderung in Deutschland. Wenn die Macht zur Veränderung bei Politikern liegt, dann kann man nur zum Schluss kommen, dass es politisch nicht gewollt ist, innovative Kulturprogramme wie eben Genrefilme zu fördern, da eine Veränderung einfach nicht stattfindet. Jedoch ganz wichtig: Ich rede nicht davon Unterhaltungsfilme abzuschaffen und jedem hochbudgetierten Film eine politische Tiefe zu geben. Eine Veränderung der Entscheidungsträger und die Umverteilung von Geldern würden von selbst zu einer kreativeren, innovativeren und vielfältigeren Filmkultur führen.
- Vorschlag zur Güte
Weitere Lösungsansätze, Herr Autor? Naja, in der Theorie könnte man sich anhören, was zum Beispiel der CDU-Vertreter im Gremium fördern würde und dann genau das Gegenteil machen. Natürlich nur ein Scherz, aber auf jeden Fall haben Fachfremde nichts an entscheidenden Positionen zu suchen. Wieder ein Verweis auf meinen Lieblingsartikel. Dort wird auch beschrieben, dass man eine Förderung viel leichter bekommt, wenn der eine klare politische Bedeutung hat. Wie habe ich mir das vorzustellen? „Mein Film handelt von einem Mann im Bombenhagel 1944 und der findet das voll blöd“ – „Ja perfekt! Wie viel Millionen hätten Sie denn gerne?“ Auch bekannt sind viele Aussagen wie „das deutsche XYZ“. So geschehen z.B. bei der heimischen Version von „Breaking Bad“ mit Bastian Pastewka. Ebenfalls gute Garanten für Fördermittel: Bekannte Persönlichkeiten, berühmte Vorlagen oder seit einigen Jahren auch Remakes alter, deutscher Stoffe wie die Serien zu „Das Boot“ oder „M“. Also wenn ihr jetzt eine Idee habt für das „deutsche Parasite“ mit Elyas M’Barek, einer schönen Schiller-Vorlage und das Ganze als „Metropolis 2“ vermarktet, dann stehen eure Förderchancen wohl nicht schlecht. Tatsächlich kann man ein klares System wie die Filmförderung auch wunderbar für sich nutzen, wenn man weiß worauf die Entscheider „stehen“ oder die begrenzten Mittel führen zu Kreativität. Zumindest erkläre ich mir so die löblichen Ausnahmen der letzten Jahre. Allgemein muss ich gestehen, dass viele Beispiele mich eher ermuntern. Ganz aktuell: „Systemsprenger“- Ein direkter Nachfolger der Realitätsdramen aus Zeiten des neuen deutschen Films mit einem beachtlichen Publikumserfolg und auch Kritiker waren hin und weg. Stolz auf die eigene Filmkultur schauen und versuchen, die Ansätze in eine neue Zeit zu retten, unbekannte Schauspieler, Regisseure und ganze Genres fördern, abhängigen Politikern das fast alleinige Macht-Zepter aus der Hand nehmen und Kultur-Marketing fördern – So ein paar Ideen zur Veränderung und es müsste wahrscheinlich gar nicht mal so viel mehr Geld in die Hand genommen werden. Reine Unterhaltungsfilme könnten selbstverständlich auch weiter laufen, wobei dafür auch schon die private Wirtschaft sorgen wird. Ein Punkt hätte ich auch noch in den Verbesserungen angesprochen, aber der wird tatsächlich schon ganz gut genutzt: Internationale Koproduktionen. Es kann nur ein Gefühl sein, aber Fördermittel kommen immer mehr aus EU-Töpfen, Schauspieler treten in anderen Ländern auf, die Produktion findet im Ausland statt usw. Mit Sicherheit sind die richtig großen Projekte nur noch mit einer europäischen Lösung überhaupt finanzierbar. Es sei denn man heißt Süd-Korea, dann ist das auch im Alleingang möglich.
- Mehr Mut!
Damit wäre ich auch beinahe am Ende. Ich habe mich über drei Teile mit der Geschichte des deutschen Films beschäftigt, in der Hoffnung, dass man daraus Schlüsse auf Heute ziehen könnte. Ich habe mir verschiedene Fragen gestellt, bei denen ich schon vorher wusste, dass es keine richtige oder falsche Antwort gibt. Ich habe über andere Leitideen der aktuellen Filmkultur geschrieben und geschaut, ob sowas auch hier umsetzbar wäre. Zum Schluss waren die Entscheidungsträger und die Förderungen dran und dazu ein paar Stichwörter, wie man vielleicht nicht das System ändern, aber innerhalb der Rahmen etwas bewegen könnte. In den letzten Zeilen müsste ich eigentlich noch den Zuschauer in die Pflicht nehmen. Wenn jetzt jeder „Systemsprenger“ statt einem MCU-Film sehen würde, wäre doch alles gut? Nein! Erstmal unterschätzen viele das Thema „Marketing“. Viele konsumieren das, was beworben wird. Ein großes Marketing-Budget ist kein Garant für Erfolg, aber ohne wiederum ist ein Hit im Kino so gut wie ausgeschlossen. Ich bin vielmehr dafür, im Mainstream-Film etwas zu ändern, als hier die überhebliche Konkurrenz zwischen dem guten Arthouse und dem bösen Blockbustern aufzubauen. Damit wäre ich nicht besser wie die oben genannten „bildungsbürgerlicher Kulturchauvinisten“. Vorreiter ist, da wiederhole ich mich vielleicht, die Tatort-Reihe. Da wurden nämlich eine Handvoll Termine für „Experimente“ freigeräumt. Diese floppten zwar im Verhältnis, aber genauso muss es laufen. Anstatt jetzt auf Biegen und Brechen die höchste Qualität und Tiefe bei jedem Projekt zu erreichen, sollte man immer wieder für Ausnahmen sorgen. Junge Filmemacher mal abseits des „kleinen Fernsehspiels“ eine Chance geben oder den nächsten Film über die DDR mal zu einem wahren Horror-Streifen umfunktionieren. Vor allem aber den Machern mehr Freiheiten bei der Umsetzung geben und den Zuschauer, inkl. einem ordentlichen Marketing-Budget, mit etwas Unbekanntem konfrontieren! Wenn die öffentliche Förderung das nicht hinbekommt, wird diese Aufgabe an Netflix und Co. hängen bleiben. Das kann mir als Konsument zwar vollkommen Schnuppe sein, aus welcher Richtung die herausstechenden Werke kommen, aber dann darf man sich über ein schlechtes Image bei Filmfreunden und Machern weltweit nicht wundern. Wenn sich der deutsche Film auf seine Stärken aus der Geschichte konzentriert, nicht jedem Trend hinterher rennt, eine Machtverschiebung in der Förderung erreicht und im Mainstream immer mal wieder auf neuen Wegen wandert – Dann berichten vielleicht schon bald südkoreanische Medien über die neue Art des deutschen Films und dem Oscar-Preisträger 2025: „Metropolis 2 – Gesellschaftskritik Strikes Back“! (… bitte, bitte nicht)
Weitere Specials und Essay-mäßige Beiträge von mir:
- Deutsche Filmkultur – Teil 1
- Deutsche Filmkultur – Teil 2
- Warum wir „Werner“ brauchen
- Film- und Kinotrends
- Propaganda im Film
- Kritik an der eigenen Kritik
- Humor in Blockbustern
- Werden Filme immer länger?
- Das Superhelden-Zeitalter
Quellen-Link zum PDF der Friedrich-Ebert-Stiftung: https://library.fes.de/pdf-files/akademie/hamburg/06824.pdf
Ich hab nichts gegen die historischen Filme, da sie meistens gelungen sind (außer Werk ohne Autor, der Film ist eine Frechheit). Aber mehr Diversität in der Filmförderung ist dringend notwendig. Systemsprenger ist das Paradebeispiel, dass es auch anders geht.
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Es gibt extrem viele deutsche Geschichts-Produktionen, gerade im Fernsehen, die extrem bieder gefilmt sind und oft gar nichts neues zum Thema beitragen. Daher meine Idee, dass es irgendwie einfach eine Quote geben muss für diese Filme. Anders ist mir nicht erklärbar, warum wir noch ein Mauerdrama in der ARD brauchen
Systemsprenger hatte es aber auch nicht leicht. Im Vorspann kommen extrem viele Förderanstalten und gesponserte Preise zum Vorschein, die nur erahnen lassen, wie viele Anträge für ein paar tausen Euro notwendig waren. Immerhin wird er gerade zu Recht mit Preisen überschüttet
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Ich beziehe mich hier Mal aufs Kino und auch im Fernsehen gibt es großartiges Geschichtsfernsehen (Kudamm, Weißensee). Da stecken aber auch Leute hinter, die für Qualität stehen.
Systemsprenger hatte es sicher nicht leicht, der Film ist ja auch alles andere als leichte Kost, aber kaum ein Film hat in den letzten so nachgewirkt wie der.
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Ausnahmen bestätigen die Regel, auch „Der Hauptmann“ hat mich tief beeindruckt. Aber der Film hat halt mal was anderes gemacht und den Zuschauer mit etwas unschönem konfrontiert. Immer wenn ich mal bei meinen Eltern bin und Abends Fernseh mitschaue, dann sieht das gefühlt alles gleich aus, mit den selben Darstellern, übertrieben emotional und Handlungen, die man schon wie oft gesehen hat. Es gibt Ausnahmen, aber die muss man halt auch suchen
Zu Systemsprenger verliere ich noch ein paar Worte im Monatsrückblick, gebe dir aber vollkommen Recht
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Der Hauptmann war auch hervorragend. Ich schaue das meiste gar nicht mehr im Fernsehen.
Systemsprenger wird auch sicher ne Rolle im euren Podcast spielen. Benni war wohl auch beeindruckt.
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